I. Bodenreform und Entschädigung

Ein Teil der Forderungen, über die im Moment zwischen der öffentlichen Hand und Georg Friedrich Prinz von Preußen verhandelt wird, betrifft Ansprüche nach dem Ausgleichsleistungsgesetz, die bereits in den 1990er Jahren von Louis Ferdinand Prinz von Preußen (dem Großvater von Georg Friedrich Prinz von Preußen und Sohn des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen) angemeldet wurden. Der Sache nach geht es dabei um Grundbesitz sowie andere, bewegliche Gegenstände, die zwischen 1945 und 1949 in der sowjetisch besetzten Zone im Rahmen der sogenannten Bodenreform enteignet worden waren. 

Der Umgang mit diesen Enteignungen war im Prozess der Wiedervereinigung hoch umstritten. Während man sich dazu entschloss, die Enteignungen und Sozialisierungen aus der Zeit der DDR grundsätzlich rückgängig zu machen, die enteigneten Vermögensgegenstände also an ihre früheren Eigentümer bzw. deren Erben zurückzuerstatten, blieben die Maßnahmen, die unter der sowjetischen Besatzungsherrschaft ergriffen worden waren, zunächst unangetastet. 


Das Vermögensgesetz, das grundsätzlich vorsah, die in der DDR enteigneten Vermögensgegenstände an ihre früheren Eigentümer bzw. deren Erben zurückzuerstatten, nahm daher von dieser Regelung alle Enteignungen „auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage“ aus - insbesondere also die Enteignungen im Rahmen der Bodenreform. Erst im Jahr 1994 wurde mit dem Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) eine Regelung geschaffen, die für diese Maßnahmen, soweit sie Grundstücke und Immobilien betrafen, einen Anspruch auf Entschädigungszahlungen vorsah. Lediglich das ehemalige Inventar der Immobilien sollte, sofern es noch auffindbar war, in natura zurückgegeben werden.

Allerdings greift für dieses Inventar, sofern es sich dabei um Kulturgüter handelt, die öffentlich ausgestellt werden, eine Sonderregelung: Nach § 5 Ausgleichsleistungsgesetz musste der Rückerstattungsberechtigte es für 20 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, also bis zum Jahr 2014, dulden, dass die Kulturgüter weiterhin unentgeltlich öffentlich ausgestellt oder für die Forschung genutzt wurden. Nach Ablauf dieser Frist kann die öffentliche Hand verlangen, dass diese Form der Nutzung fortgesetzt, die Kulturgüter also weiter öffentlich ausgestellt oder für die Forschung genutzt werden können. Sie muss dem Rückerstattungsberechtigten dann lediglich ein angemessenes Entgelt für diese Nutzung zahlen.


Auszug aus dem Ausgleichsleistungsgesetz

§ 5 Rückgabe beweglicher Sachen

(1) Bewegliche, nicht in einen Einheitswert einbezogene Sachen sind zurückzuübertragen. Die Rückübertragung ist ausgeschlossen, wenn dies von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist oder natürliche Personen, Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Stiftungen in redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum erworben haben.
(2) Zur Ausstellung für die Öffentlichkeit bestimmtes Kulturgut bleibt für die Dauer von 20 Jahren unentgeltlich den Zwecken der Nutzung seitens der Öffentlichkeit oder der Forschung gewidmet (unentgeltlicher öffentlicher Nießbrauch). Der Nießbrauchsberechtigte kann die Fortsetzung des Nießbrauchs gegen angemessenes Entgelt verlangen. Gleiches gilt für wesentliche Teile der Ausstattung eines denkmalgeschützten, der Öffentlichkeit zugänglichen Gebäudes. Wenn das Kulturgut mehr als zwei Jahre nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, endet auf Antrag des Berechtigten der Nießbrauch, es sei denn, dass die oberste Landesbehörde triftige Gründe für die Nichtzugänglichkeit und das Fortbestehen der in Satz 1 genannten Zweckbestimmung feststellt.
(...)

II. Die "Unwürdigkeitsklausel" des Ausgleichsleistungsgesetzes

Neben dieser Sonderregelung für Kulturgüter enthält das Ausgleichsleistungsgesetz noch eine weitere Einschränkung: Ein Anspruch ist unter anderem dann ausgeschlossen, wenn derjenige, zu dessen Lasten die Enteignung erfolgt war, dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet hatte. Das betrifft im Falle der Hohenzollern Wilhelm Prinz von Preußen (1882-1951), den (seit 1918) ehemaligen preußischen und deutschen Kronprinzen.

Auszug aus dem Ausgleichsleistungsgesetz

§ 1 Anspruch auf Ausgleichsleistung

(1) Natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) erhalten eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. (...)

(...)

(4) Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteignete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen, in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht oder dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat.

III. Die Rechtsprechung zur "Unwürdigkeit"

Was darunter zu verstehen ist, dass jemand dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat, ist mittlerweile durch die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen ausbuchstabiert worden. Das Bundesverwaltungsgericht führt insofern aus:


"Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der Phase der Errichtung und nicht erst nach der Etablierung des nationalsozialistischen Systems möglich.

Voraussetzung für einen Anspruchsausschluss ist in objektiver Hinsicht, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken, und die dies auch zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein. Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei in dem Bewusstsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben."


Dabei ist es gerade dann, wenn die Unterstützungsleistung in einem frühen Stadium vor oder kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erfolgte, nicht erforderlich, dass die betroffene Person bereits konkret die Folgen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates vorhergesehen und in dieser Form gewollt hat:


"Das Wissen und Wollen des Vorschub Leistenden muss sich nur auf das eigene Tätigwerden und dessen Wirkung als Beitrag zur Errichtung oder zur Festigung des nationalsozialistischen Systems bezogen haben, es muss nicht alle Einzelheiten der späteren Entwicklung einschließen."


Insgesamt ist zur Beurteilung, ob eine Person dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet hat, eine wertende Gesamtbetrachtung des Verhaltens der betreffenden Person vorzunehmen. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die betroffene Person später ihre Ansichten geändert hat und sich durch ein nachgewiesenes regimeschädigendes Handeln „entlasten“ kann. Das ist, so das Bundesverwaltungsgericht, der Fall, "wenn die positiven Handlungen die mit der gesamten übrigen Tätigkeit verbundene Unterstützung und Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems in hohem Maße relativieren." Dafür ist es jedoch, so das Bundesverwaltungsgericht, erforderlich, dass dieses regimeschädigende Handeln tatsächlich sichtbar nach außen tritt:


"Eine bloße innere Reserviertheit oder Abneigung gegenüber dem System, die sich nicht in nennenswerten Handlungen nach außen manifestiert hat, kann insoweit ebenso wenig ins Gewicht fallen wie eine im Zeitverlauf lediglich nachlassende Unterstützung, eine Abwendung von den Systemzielen in späteren Phasen des NS-Regimes oder eine vom System lediglich angenommene Gegnerschaft."


IV. Beispiele

In der Fallpraxis kann sich ein erhebliches Vorschubleisten etwa unproblematisch aus einer Einbindung in die nationalsozialistischen Institutionen ergeben. Es wird bejaht bei einer herausgehobenen Stellung als Arzt innerhalb der SA, bei einer Tätigkeit als Abteilungsleiter in verschiedenen Gestapo-Leitstellen, einer solchen als Gruppenführer der SA (General) oder einer hauptamtlichen Tätigkeit im SS-Hauptamt. Auch für Dietloff von Arnim, seit 1933 Landesdirektor bzw. Landeshauptmann der Provinz Brandenburg, bejahte die Rechtsprechung ein "Vorschubleisten". Gleiches gilt für den ehemaligen Gauredner Karl Heinrich Sieber und andere Personen mit derselben Funktion.

Allein die ehrenamtliche Tätigkeit als NSDAP-Kreisrichter sowie als Leiter nachgeordneter Ämter in einer NSDAP-Kreisleitung genügt nach der Rechtsprechung hingegen nicht, um ein Vorschubleisten zu begründen. Ebenso fällt die Beurteilung für eine Tätigkeit als Gau-Hauptstellenleiter sowie die Tätigkeit als Oberster Militärrichter für Fahnenfluchtfälle in Norwegen aus. Schließlich genügt auch die Tätigkeit als hoher Ministerialbeamter und hoher Diplomat in den Botschaften in London und Rom in der Zeit der NS-Diktatur allein nicht, um ein Vorschubleisten zu begründen - aus diesem Grund wurde das Tatbestandsmerkmal für Otto Christian Fürst von Bismarck, den Enkel des ehemaligen Reichskanzlers, verneint.

Anders ist es hingegen bei einer hauptamtlichen und nicht völlig untergeordneten Tätigkeit für die Geheime Feldpolizei (GFP). Sie begründet regelmäßig eine tatsächliche Vermutung dafür, dass durch diese Tätigkeit dem nationalsozialistischen Unrechtssystem erheblich Vorschub geleistet worden ist. Darüber hinaus kann auch ein rein lokalpolitisches Engagement für die NSDAP ausreichen, um im konkreten Fall ein Vorschubleisten zu bejahen.



Karl Heinrich Sieber (1938)

Aber auch die reine Verbreitung von Propaganda ohne formale Einbindung in den nationalsozialistischen Machtapparat kann den Tatbestand des "Vorschubleistens" erfüllen. Dies bejahte die Rechtsprechung sowohl bei einer systemtreuen Zeitung mit einer Auflagenstärke von 140.000 bis 150.000 als auch bei einer kleinen Regionalzeitung mit einer Auflage von etwa 12.000 Exemplaren.

Auch für Karl Albrecht, den Autor von "Der verratene Sozialismus", wurde aufgrund seiner propagandistischen Tätigkeit ein Vorschubleisten bejaht. Im Fall von Erich Kulke wäre für die Rechtsprechung allein die Veröffentlichung seines Werkes "Hin zu dem Tag der Deutschen Freiheit! Sinnsprüche der Hitler-Jugend" schon ausreichend gewesen um einen Anspruchsausschluss zu begründen.

Dabei muss die kommunikative Unterstützung des Nationalsozialismus allerdings nicht zwingend in einer solchen direkten Verbreitung von Propaganda liegen. Im Fall von Alfred Hugenberg hat das Bundesverwaltungsgericht sie schon deshalb bejaht, weil der Medienunternehmer und DNVP-Vorsitzende (1928-1933) mit seiner Initiative dafür gesorgt hat, dass die NSDAP in das Bündnis gegen den Young-Plan (gemeinsame Organisation des Volksentscheids) aufgenommen und in die "Harzburger Front" einbezogen wurde, da hierdurch das Ansehen der NSDAP in der Bevölkerung gestiegen und Hitler salonfähig geworden sei. Darüber hinaus hat er dadurch, dass er als bekannter und einflussreicher Politiker Reichsminister im ersten Kabinett Hitler wurde, in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, Hitler und die NSDAP seien vertrauenswürdig. Auch dies begründet ein "Vorschubleisten" nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG.


Alfred Hugenberg (1933)

In eine entsprechende Richtung geht auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Heinrich Freiherr von Gleichen-Rußwurm, dem Mitbegründer des Deutschen Herrenklubs und Herausgeber der Zeitschrift "Der Ring".  Er habe dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet, weil er in seinen Funktionen für den Herrenklub und den "Ring" den vormaligen Reichskanzler Franz von Papen dabei unterstützt und bestärkt habe, der Aufnahme der NSDAP und Hitlers in die Reichsregierung und der gemeinsamen Beseitigung der parlamentarisch-demokratischen Weimarer Verfassungsordnung den Boden zu bereiten. Dies habe zur Errichtung der Herrschaft Hitlers und der NSDAP beigetragen. Dabei sei insbesondere die Rede von Papens am 16. Dezember 1932 im Rahmen des Jahrestreffens des Herrenklubs, die Veröffentlichung dieser Rede im Dezember 1932 und zweier weiterer Reden von Papens im Februar und März 1933 im "Ring" sowie auf die Tatsache maßgeblich, dass von Gleichen-Rußwurm die Zusammenarbeit von Papens mit Hitler in eigenen Zeitungsbeiträgen im "Ring" 1933  nachdrücklich begrüßt habe.


Schließlich verdient in diesem Zusammenhang auch eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Cottbus besondere Aufmerksamkeit. Auch hier ging es um die Frage, ob eine Zeitung durch ihre positive Berichterstattung dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hatte. Konkret war dies für eine Kreiszeitung zu beurteilen, die vermutlich über eine Auflage von unter 10.000 Exemplaren verfügte. Das Gericht betonte hier, dass die Zeitung von einer offenkundigen Sympathie für die Nationalsozalisten und ihren "Führer" Adolf Hitler geprägt und bestrebt gewesen sei, diesem zur Macht im Deutschen Reich zu verhelfen. Dies ergebe sich insbesondere auch aus der Bekanntmachung des Wahlaufrufs des "dem Nationalsozialismus zugetanen und von der NSDAP bewusst als 'Stimmenfänger' eingesetzten Prinzen" Wilhelm von Preußen [1] zugunsten des Kandidaten Adolf Hitler zur Reichspräsidentenwahl am 10. April 1932 auf der Titelseite.

[1] In den Entscheidungsgründen wird hier von einem Wahlaufruf des „Prinzen August Wilhelm von Preußen“ geschrieben. Durch den entsprechenden Verweis auf den Tatbestand ist allerdings klargestellt, dass es sich hier um einen Fehler handelt. Im Tatbestand wird (richtigerweise) auf die „Wahlunterstützung des Kronprinzen des Hauses Hohenzollern“ verwiesen (Rn. 8).

  • Keine Stichwörter